Olympische Sommerspiele in Rio de Janeiro / Brasilien 2016
Der Olympiasieger Sydney / Australien von 2000 Thomas Schmidt – seit Jahren im ICF Kanuslalom Komitee tätig wurde vor seiner Abreise nach Rio de Janeiro interviewt. Seit 2008 ist der Maschinenbau-Ingenieur in der Slalomkommission des ICF Weltverbandes tätig, die olympischen Spiele sind auch sein Höhepunkt – sei es als Teilnehmer 2000 (und Goldmedaillengewinner) oder sei es als Kursdesigner und Video Judge in London und nunmehr auch in Rio de Janeiro.
MS: Vor vier Jahren wurdest Du in allen Medien als der „Kanalarbeiter“ betitelt. Hier nochmals die Rückschau: „Der wohl berühmteste Londoner Kanalarbeiter kommt aus Deutschland. Thomas Schmidt ist am Wildwasser-Kanal des Lee Valley White Water Centre bei den olympischen Wettbewerben im Kanuslalom für das Aushängen der Tore verantwortlich“ – diese schwere Bürde hattest Du 2012 bei den olympischen Spielen London/Lee Valley und nunmehr auch im Wildwasserpark in Rio de Janeiro „Deodoro Freizeitpark“. Lastet diese Bürde auf Dir und konntest Du die neu gebaute Strecke schon live sehen?“ Wie unterscheidet sie sich von der „ersten künstlichen“ Strecke in Augsburg, die Du ja sehr gut kennst als Augsburger und Schwabenkanute.
TS: Es ist keinesfalls eine Bürde, vielmehr eine große Freude bei solch einem Event die Strecke aushängen zu dürfen. Ähnlich wie in London durfte ich auch die Strecke in Rio schon in Augenschein nehmen. Im vergangenen November fand dort das sogenannte olympische Test Event statt. Auch dort durfte ich zusammen mit Marianne Agulhon die Strecke für die Test Wettkämpfe designen. Das war harte Arbeit, da die Strecke zu dem Zeitpunkt gänzlich neu war und unglaublich viele Optionen bietet. Die Strecke unterscheidet sich allerdings komplett vom Augsburger Eiskanal, zwar ist es auch eine Kunststrecke, aber wie heute fast üblich wird das Wasser nach oben gepumpt. Der Kanal ist ansonsten viel kürzer und komprimierter, kommt auch mit weniger Wasser aus. Die Einbauten, die letztlich dem Kanal den Feinschliff geben und seine Wildwasserelemente verleihen sind aus Kunststoff und können im ansonsten gerade verlaufenden Flussbett versetzt werden.
MS: Thomas – Du als Olympiasieger von Sydney im Jahr 2000 bildest wieder gemeinsam mit der Französin Marianne Agulhon das ICF Kursdesigner-Team. Nach den abschließenden Trainingsläufen bereitet der knapp 40-jährige Augsburger den Parcours für die Qualifikationen in Deodoro vor. Wann reist Du bzw. Ihr beide an, wo seid ihr untergebracht und was sind Eure genauen Aufgaben? Wirst Du freigestellt oder musst Du Deinen Urlaub hierfür einbuchen?
TS: Ich fliege am ersten August nach Rio, dadurch ist noch genügend Zeit um sich auf die Strecke einzustellen und Ideen für die Toraushängung zu sammeln. Nicht zuletzt, da die Strecke seit November letzten Jahres noch mal leicht modifiziert wurde. An den Einbauten wurde etwas gefeilt um faire Verhältnisse auf der ganzen Strecke zu schaffen. Untergebracht sind wir dann in der Nähe von Deodoro in einem „kleinen“ Olympischen Dorf. Dort sind einige der Funktionäre, die alle im Deodoro Park tätig sind untergebracht. Somit ist die tägliche Anreise etwas verkürzt, das erleichtert die Arbeit vor Ort. Freigestellt werde ich leider nicht, ich bringe meinen normalen Urlaub dafür ein. Dadurch muss ich für den Familienurlaub schon etwas zirkeln.
MS: Werden die Strecken jetzt neuerdings noch schwerer ausgehängt, ist das auf dem neugebauten Kurs in Deodoro so ohne weiteres möglich und wieviel Tore und wie schwierig darf die Strecke prinzipiell für die Kanuten (Damen und Herren fahren ja stets die gleiche Strecke, es gibt keine spezielle Damenstrecke) sein? Was gilt es hier besonders zu beachten?
TS: Die Strecke in Deodoro ist vom Wildwasser-Schwierigkeitsgrad vielleicht nicht die allerschwierigste. Das ist sicher der späteren Nutzung geschuldet. Wir werden damit nicht Verhältnisse wie in London oder z.B. Pau vorfinden. Es gilt daher wieder den üblichen Spagat zu meistern, die Strecke anspruchsvoll genug für die besten Herren und nicht zu schwer für die vielleicht nicht ganz so starken Damen auszuhängen. Das gilt insbesondere für das olympische Starterfeld, das gegenüber einer Weltmeisterschaft doch etwas erlesener ausfällt. Die Anzahl der Startplätze ist limitiert, aus jeder qualifizierten Nation darf nur EIN Boot an den Start, da sollte die Strecke für alle anspruchsvoll gestaltet sein.
MS: Rio de Janeiro sorgt ja seit Monaten und gerade in den letzten Wochen für sehr viel „negative Schlagzeilen“ – ist Dir da nicht bang davor – Zirka Virus, Abfallprobleme, Kriminalität, Finanznot usw.?
TS: Das sind die üblichen Schreckensnachrichten vor solchen Events. Es kommt immer darauf an wohin man genau schaut. Bei meinem Besuch im November sind mir schon einige Dinge aufgefallen, die waren nicht wirklich schön. Auffallend ist der große Unterschied zwischen arm und reich. Ich gehe aber davon aus, dass in der Zeit der Olympischen Wettkämpfe vieles auf Vordermann gebracht wird und dass man beim Veranstalter alles Mögliche unternehmen wird um die Sicherheit der Spiele zu gewährleisten.
MS: Wird Deine Familie auch mit vor Ort sein und wie lange wirst Du überhaupt am olympischen Leben teilnehmen können. Besuchst Du auch andere Sportarten?
TS: Ich reise alleine, da ich in erster Linie mit einem Auftrag vor Ort bin. Planmäßig komme ich am 14.08. wieder zurück, d.h. es ist im Anschluss an die Slalomwettkämpfe noch ein Puffertag vorgesehen, sollte wirklich etwas für eine Verschiebung im Zeitplan sorgen, wovon wir hoffentlich keinen Gebrauch machen müssen. Ich bin also fast zwei Wochen vor Ort, da sollte es irgendwo möglich sein mal irgendein Event zu besuchen. Ideal ist natürlich der Deodoro Park, dort sind gleich mehrere Sportarten, vielleicht klappt ja mal ein Abstecher.
MS: Ganz zum Schluss, noch ein paar Fakten zu den Kanuslalom Wettbewerben, wie ist die Strecke konzipiert, ist sie nachhaltig für die Nach-Olympiade, wann beginnen die Wettkämpfe und werden auch Schulklassen im Trainingsbetrieb die Sportart besuchen dürfen? Du siehst, viele Fragen, aber wir sind auf Informationen über den Wildwasserpark in Deodoro im Herzen der Stadt Rio de Janeiro schon sehr gespannt.
TS: Der Kanal erfüllt alle Anforderungen an eine spätere kostengünstige Nutzung, hier haben wir seitens ICF großen Wert darauf gelegt. In Zahlen bedeutet das, mit 250m Länge, einem Gefälle von 4,5m bei einem Wasserdurchfluss von 12m³/sec ist das vergleichsweise wenig. Anders ausgedrückt, man hat aus der Vergangenheit gelernt, den Kurs sehr effizient gestaltet und ähnlich wie beim Augsburger Eiskanal die Strömungsverhältnisse zuvor mit einem Modell simuliert. Neben der Wettkampfstrecke gibt es noch einen einfacheren Trainingskurs. Außerdem wird der Aufwärmsee später der Öffentlichkeit als Schwimmbad dienen. Damit wurde ein starkes Paket geschnürt, damit nicht nur der Kanusport, sondern auch die gesamte Bevölkerung davon profitiert. Die Kanuslalom-Wettkämpfe beginnen traditionell recht früh im Verlauf der Spiele. Am Tag 2, also dem 07.08., geht es mit den Qualifikationsläufen los, die ersten Medaillien werden am Tag 4 vergeben und bis zum Tag 6 (11.08.) können wir dann auch hoffentlich erfolgreiche deutsche Sportler, vielleicht sogar aus Augsburg, feiern. Es wird auf jeden Fall spannend.
MS: Thomas, wir danken Dir für das Interview und wünschen Dir vor Ort eine gute Streckenführung und sei wieder ein guter „Kanalarbeiter“ wie 2012 in London. Wir drücken Dir und dem DKV Team Rio 2016 von hier aus ganz fest die Daumen und ganz besonders den beiden Schwabenkanuten Melanie Pfeifer und Sideris Tasiadis, welche bei den olympischen Spielen in Rio teilnehmen.
Marianne Stenglein / Referentin für Presse / Kanu Schwaben Augsburg/11.07.2016